Sicher kennen auch Sie Menschen, die ihr Herz auf der Zunge tragen.
Man kann in ihnen lesen wie in einem offenen Buch. Sie lassen ihr Umfeld grosszügig an ihren Gefühlen und Gedanken teilhaben.
Ich kann das nicht.
Und will es auch nicht.
Ich trage meine Persönlichkeit nicht am Revers.
Was nicht bedeutet, dass ich ein schüchterner Einzelgänger wäre.
Keineswegs.
Ich bin ein fröhlicher und humorvoller Mensch, habe gerne mit Menschen zu tun und bahne ohne Probleme auch Kontakte an.
Doch ich gebe ungern etwas über mich preis. Ich beobachte und höre lieber zu. Ich brauche Zeit und muss erst Vertrauen aufbauen, bevor ich mich öffne.
Das ist weniger eine persönliche Haltung als vielmehr meine Natur. Ich bin eher introvertiert.
Auf andere wirkt ein solches Verhalten oftmals irritierend, ja gar verstörend.
"Komm doch mehr aus dir raus" oder "erzähl doch mal was von dir", hörte ich früher oft. In Einzelfällen fühlten sich manche durch mein zurückhaltendes Wesen regelrecht provoziert.
Ein Aha-Erlebnis war, als ich von dem Kommunikationswissenschaftler Friedemann Schulz von Thun las:
«Zurückhaltende Menschen mit Pokerface werden oft abgelehnt, gemieden oder bekämpft: Alte Ängste und Hassgefühle projizieren sich auf diese Leinwand.»
Auch wenn die meisten Reaktionen weniger krass sind: Die zurückhaltende Art hat es in unserer Kultur nicht leicht.
Geselligkeit, Bestimmtheit, Abenteuerlust und Gesprächigkeit gelten als Ideal in einer extravertiert geprägten Gesellschaft.
Dennoch rate ich niemandem, sich zu ändern, vielmehr sollten leise Menschen selbstbewusst zu ihrem Wesen stehen.
Und zur Förderung des gegenseitigen Verständnisses und zur Wahrung der Interessen in wichtigen Situationen auch mal den Mund öffnen und sagen, was ist.